"Die Begegnung des Anderen in der feministischen Ethik"

Meine Diplomarbeit im Rahmen meines Studiums Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Johannes Kepler Universität Linz behandelt noch immer zentrale Fragestellungen die meine heutige Arbeit als psychosoziale Beraterin stark beeinflusst.


In meiner Diplomarbeit „Die Begegnung des Anderen in der feministischen Ethik“ widmete ich mich einer Fragestellung, die nicht nur theoretisch, sondern zutiefst menschlich ist: Wie begegnen wir dem Anderen – und was bedeutet es, Verantwortung zu übernehmen?
Im Mittelpunkt standen dabei die ethischen Konzepte von Emmanuel Levinas sowie feministische Perspektiven nach Simone de Beauvoir


Die ethische Verantwortung beginnt im Anlitz des Anderen

Für Emmanuel Levinas entsteht Ethik nicht durch Prinzipien, sondern durch Beziehung: Das Antlitz des Anderen stellt eine unmittelbare, existenzielle Herausforderung dar. Es ruft uns in Verantwortung – noch bevor wir urteilen, kategorisieren oder reagieren können.

Diese Begegnung ist keine Projektion des Eigenen, sondern eine Konfrontation mit dem, was wir nicht kontrollieren: der Fremdheit, Einzigartigkeit und Verletzlichkeit des Anderen.

 

Feministische Ethik – Simone de Beauvoir und Katrin Marcal
Simone de Beauvoir betont in „Das andere Geschlecht“, wie Frauen historisch als „der Andere“ konstruiert wurden – nicht aus sich selbst heraus, sondern als Spiegelbild des männlich definierten Subjekts.

Feministische Ethik fordert eine Abkehr vom universalistischen Denken – hin zu einer Ethik der Beziehung, Fürsorge und Konkretheit.

Katrine Marcal greift diese Kritik in „Fleischmarkt“ weiter auf und zeigt, wie das ökonomische Denken bis heute eine männlich geprägte Rationalität bevorzugt – während emotionale, fürsorgliche und zwischenmenschliche Kompetenzen systematisch entwertet werden.


Das Höhlengleichnis – warum wir nicht sehen, was wir nicht gelernt haben zu sehen

Als Sinnbild für diese ethische Öffnung lässt sich das Höhlengleichnis von Platon lesen:
Menschen leben – symbolisch gesprochen – in einer Höhle, in der sie nur Schatten an der Wand sehen. Diese Schatten halten sie für die Wirklichkeit, weil sie nie etwas anderes kennengelernt haben.

Erst wer sich aus der Höhle bewegt, wer bereit ist, sich dem Licht auszusetzen, kann die Welt in ihrer Tiefe erkennen.

Übertragen auf unsere gesellschaftliche Realität: Wir sehen die Welt durch die Brille unserer Sozialisation, Normen und kulturellen Prägung.

Der Andere – besonders, wenn er uns fremd erscheint – fordert uns auf, unsere Perspektive zu weiten, bisherige Bilder zu hinterfragen und neu zu sehen. Diese Erkenntnis ist grundlegend – in der Ethik, aber auch in der Beratung:

Nur wer bereit ist, die eigenen Denkgrenzen zu erkennen, kann dem Anderen wirklich begegnen.


Was das für meine Arbeit bedeutet

In meiner Beratungspraxis ist diese Haltung zentral:
– Nicht urteilen, sondern verstehen.
– Nicht bewerten, sondern begegnen.
– Nicht erklären, sondern gemeinsam ergründen.


Werte, Beziehung, Selbstverantwortung und die Bereitschaft zur inneren Bewegung stehen im Mittelpunkt – für persönliche Entwicklung ebenso wie für ein gelingendes Miteinander in Familie, Beruf und Gesellschaft.